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Sieben Fragen an Tiffani Bova, Expertin für Unternehmenswachstum

Dauer 8 minutes Aktualisiert am
Sieben Fragen an Tiffani Bova, Expertin für Unternehmenswachstum

Kürzlich hatten wir Gelegenheit, ein Interview mit Tiffani Bova, Chief Growth Evangelist bei Salesforce, zu führen. Die gefragte Keynote-Speakerin und Autorin wurde von Thinkers50 auf die Liste der 50 wichtigsten Business-Vordenker weltweit gesetzt. Tiffani entwickelte für CrossKnowledge das innovative Programm „Boost Your Growth IQ“ (Growth IQ steigern), mit dem Fachleute ihre Kenntnisse und Kompetenzen im Bereich Unternehmenswachstum verbessern können.

In diesem Interview schildert sie uns, was sie am Bereich Growth IQ fasziniert, und lässt uns an ihrer Expertise teilhaben. Erfahren Sie mehr über ihre Ideen und Strategievorschläge, wie Unternehmen in der schnelllebigen und sich ständig wandelnden Geschäftswelt von heute erfolgreich sein können.

Was hat Sie dazu inspiriert, sich auf Unternehmenswachstum zu spezialisieren, und was reizt Sie daran am meisten?

Ich bin sozusagen im Vertrieb groß geworden und das war mein Einstieg in das „Wachstum“, vor allem in das Umsatzwachstum. Denn es sind ja gerade die Vertriebsmitarbeiter, die die Geschäfte erschließen müssen, die das Unternehmenswachstum auf Umsatzebene fördern. Als ich begann, in Unternehmen aufzusteigen, verstand ich allmählich, welche verschiedenen Faktoren Wachstum effektiver, effizienter, skalierbarer, vorhersehbarer und zuverlässiger machen. Dann wollte ich es genau wissen. Ich versuche gewissermaßen, Wachstum zu dekonstruieren, indem ich folgende Fragen stelle: Was funktioniert? Was funktioniert nicht? Wie optimiere ich Funktionierendes und wie eliminiere ich das, was nicht funktioniert? So habe ich auch in meiner eigenen Vertriebslaufbahn ganz methodisch versucht, meine Zeit besser einzuteilen und zu nutzen.

Nach etwa zehn Jahren war ich so weit, Unternehmen zu beraten, wie sie besser wachsen. Und das hat mich dann weitere volle zehn Jahre beschäftigt. Ich führte ganz ähnliche Gespräche mit Unternehmen jeder Größe und Branche in allen Regionen der Welt. Letztendlich lief es auf zwei Dinge hinaus. Vereinfacht ausgedrückt: Unternehmen produzieren etwas und Unternehmen verkaufen etwas. Ich habe keine Meinung dazu, was Sie mit Ihrem Unternehmen produzieren, wohl aber dazu, wie Sie verkaufen. Welches Markteinführungskonzept verfolgen Sie? Welche Vertriebsphilosophie? Wie sieht Ihre Partnerschaftsstrategie aus? Und wie Ihre Marketingstrategie? Dann beginnen Sie zu erkennen, dass es kein Patentrezept für Wachstum gibt. Vielmehr entsteht Wachstum durch die Kombination vieler Faktoren.

Um auf Ihre ursprüngliche Frage zurückzukommen: Was mich inspiriert hat und was mich nach wie vor inspiriert, ist die Tatsache, dass Wachstum ständigem Wandel unterliegt und nie nur von einer Sache abhängig ist. Sie können in einer Sache richtig gut und in einer anderen richtig schlecht sein und beides hebt sich gegenseitig nahezu auf. Daher müssen Sie immer wachsam sein. Aus anthropologischer Sicht stellt sich zudem die Frage: Warum wächst das eine Unternehmen und warum wächst das andere nicht? Es ist, als ob Sie einem Geheimnis auf die Spur kommen, und Sie denken: „Das hat schon mal funktioniert, vielleicht funktioniert es auch woanders.“ Wenn es für das eine Unternehmen funktioniert hat, könnte es auch für das andere Unternehmen funktionieren. Es könnte in dieser oder jener Branche oder in dieser oder jener Region funktionieren. Es ist einfach nie das Gleiche. Die Arbeit ist immer interessant und von großer Tragweite.

Wie können Frontline-Manager, die oft unter Zeitmangel und Druck stehen, mit ihren Teams Wachstum vorantreiben?

Das ist eine gute Frage. Vor vielen Jahren habe ich den Begriff „seller’s dilemma“ (Verkäuferdilemma) geprägt. Denn der Verkäufer steht vor folgendem Dilemma: Wie kann ein für das Umsatzwachstum verantwortlicher Frontline-Manager gleichzeitig das Geschäft führen und vorausschauend planen? Diese Aufgaben erfordern zwei völlig unterschiedliche Denkweisen. Leider sind die meisten Frontline-Manager so darauf fixiert, ihre Zahlen heute, diesen Monat, dieses Quartal zu erreichen, weil das Unternehmen nach Wachstum strebt, dass sie keine Zeit haben, innezuhalten und sich zu fragen: „Was funktioniert? Was funktioniert nicht? Haben wir die richtigen Rollen und die passenden Leute? Verwenden wir die richtigen Werkzeuge? Verfolgen wir die richtigen Leads?“ Eben die vielen Dinge, die bei Verkauf und Wachstum eine Rolle spielen.

Damit sich die Mitarbeitenden auf kurzfristige Aufgaben konzentrieren und gleichzeitig den Zusammenhang zwischen ihrer täglichen Arbeit und deren Beitrag zum Wachstum erkennen, bedarf es eines bestimmten Führungsstils. Wenn ich meine Rolle und den Sinn meiner Tätigkeit verstehe und erkenne, wie sich meine tägliche Arbeit auf das allgemeine Wachstum des Unternehmens auswirkt, dann ist mir bewusst, dass meine Rolle wichtig ist, dass ich wichtig bin und dass ich einen Beitrag zum Unternehmenserfolg leiste. Wenn Frontline-Managern der Spagat zwischen dem Tagesgeschäft und der Konzeption wirksamer langfristiger Strategien gelingt, dann spüren ihre Teams, dass sie für den Unternehmenserfolg wichtig sind. Sie arbeiten dann engagierter und fühlen sich zugehörig. Ich glaube, die wichtigste Aufgabe von Frontline-Managern besteht darin, ihren Teams Sinnhaftigkeit zu vermitteln, ihnen die nötige Autonomie und Freiheit zu lassen, damit die Teammitglieder ihre Arbeit gut machen können, aber präsent zu sein, wenn Hilfe und Anleitung gefragt sind.

Ist überhaupt eine Balance zwischen kurzfristigem und langfristigem Denken möglich?

Ja. Wenn Sie in einem Unternehmen aufsteigen, konzentrieren Sie sich weniger auf das kurzfristige, sondern zunehmend auf das langfristige Geschäft. Vor vielen Jahren sagte mein damaliger Chef, ein CEO, zu mir: „Tiffani, als Einzelperson leben Sie im Hier und Jetzt.“ Nehmen Sie zum Beispiel den Vertrieb. Als Teamleiter denken Sie an das, was jeder heute tut. Wenn Sie zum Teammanager aufsteigen, haben Sie nicht nur den Tag vor Augen, sondern die ganze Woche oder vielleicht sogar den ganzen Monat. Als Direktor denken Sie in Monats- oder Quartalskategorien. In der Funktion eines Vice President richten Sie Ihr Augenmerk mindestens auf das laufende und vielleicht auch noch auf das nächste Quartal. Als Senior Vice President oder Executive Vice President betrachten Sie mehrere Quartale oder ein ganzes Jahr. Wenn Sie es in die Vorstandsebene geschafft haben, haben Sie die nächsten drei oder fünf Jahre im Blick, das heißt, Sie denken wirklich langfristig. Je höher Sie in einem Unternehmen aufsteigen, umso weiter entfernen Sie sich vom Tagesgeschäft – und das ist nicht immer positiv. Deshalb ist das mittlere Management so wichtig. Es stellt die Schnittstelle zwischen der Unternehmensspitze und den einzelnen Mitarbeitenden dar.

Welche Kompetenzen sind für Führungskräfte in einem wachstumsorientierten Unternehmen besonders wertvoll?

Empathie, Kommunikationstalent und Teamfähigkeit sind wichtige Kompetenzen. Außerdem müssen Führungskräfte ein Umfeld schaffen, in dem die Stimme jedes Einzelnen gehört wird. Ich weiß, es klingt klischeehaft, aber was ich sagen will, ist, dass es in Teamsitzungen vorkommt, dass sich immer die gleichen Personen zu Wort melden. Führungskräfte müssen sicherstellen, dass jeder seine Meinung, seine Bedenken oder seine Ideen äußert. Hierzu müssen Führungskräfte mit der Dynamik ihres Teams vertraut sein. Nicht jeder kommuniziert auf dieselbe Art und Weise. Nicht jeder wird durch dieselben Dinge motiviert.

Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Als sehr erfolgreiche Vertriebsmitarbeiterin wurde ich in die Führungsetage befördert. Dass ich eine erfolgreiche Vertriebsmitarbeiterin war, hat mich aber noch lange nicht zu einer guten Führungskraft gemacht. Nur weil Sie in einer Rolle Topleistungen erbringen, sind Sie nicht zwangsläufig auch als Führungskraft erfolgreich. Wir erweisen Mitarbeitenden, die Führungsverantwortung übernehmen, einen großen Dienst wenn sie nicht die Schulungen, die Werkzeuge, die Betreuung oder die Möglichkeit zur Teilnahme an Drittanbietertrainings erhalten, durch die ihnen vermittelt wird, wie sie besser kommunizieren oder Konflikte lösen können. Empathie ist eine dieser Soft Skills. Es ist viel schwieriger, soziale Kompetenzen zu erwerben als fachliche Kompetenzen. Fachliche Kompetenzen kann man lernen und messen. Soziale Kompetenzen sind schwerer zu vermitteln und es lässt sich nicht ohne Weiteres feststellen, ob jemand gut darin ist.

Schätzungen des Weltwirtschaftsforums zufolge müssen bis zum Jahr 2025 rund 50 Prozent der Beschäftigten ihre Kompetenzen erweitern. Das bedeutet, dass Führungskräfte nicht nur in ihren eigenen Kompetenzaufbau investieren müssen, sondern auch in das Reskilling ihrer Mitarbeitenden. Hierzu könnten sie vorschlagen, im nächsten Meeting ein Buch zu besprechen, das alle zuvor gelesen haben, oder sie könnten einen Buchclub, einen TED-Talk, einen Podcast, einen CrossKnowledge-Kurs oder Ähnliches einrichten, damit bei allen eine Kultur des Lernens und der Neugier entstehen kann.

Meiner Ansicht nach sind Empathie, Kommunikationstalent und Teamfähigkeit die wichtigsten Kompetenzen von Führungskräften.

Wie ist Wachstum in Zeiten der Rezession möglich? Wie finden Unternehmen Mittel und Wege, um in schwierigen Zeiten zu wachsen?

Die Inhalte in meinem Buch Growth IQ sind langfristig konzipiert, das heißt, sie gelten sowohl für Zeiten des Aufschwungs, in denen die Zeichen auf Wachstum stehen, als auch für Zeiten der Rezession, in denen Kosteneinsparungen und Ausgabenkontrolle angesagt sind. Während der letzten Rezession in den Jahren 2008 und 2009 wurden viele Unternehmen gegründet, die heute aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind.

Zunächst einmal müssen Sie sich auf das Wesentliche konzentrieren und das Unternehmen von unnötigen Prozessen und Ausgaben befreien. Das Kundenerlebnis darf nicht unter Ihren Ausgabenkürzungen leiden, denn sonst verlieren Sie Ihre Kunden. Und verlangen Sie von Ihren Mitarbeitenden kein doppeltes Arbeitspensum, denn das ist unmöglich. Aufgrund Ihrer Kürzungen können Sie vielleicht keine zweistelligen Wachstumsraten aufrechterhalten, sondern bleiben im einstelligen Bereich, aber immerhin wachsen Sie noch. In gewisser Weise ist kein Wachstum das neue Wachstum, weil Sie keine finanziellen Einbußen haben und nicht schrumpfen.

Wenn Sie feststellen, dass sich Ihr Wachstum verlangsamt und ins Stocken gerät, müssen Sie dringend Ihren laufenden Geschäftsbetrieb hinterfragen. Sind Sie in der Lage, die Produktivität durch Optimierung, Automatisierung oder Technologie zu steigern? Können Sie Ihre Beschäftigten für weitere Tätigkeiten qualifizieren? Wenn Sie Ausgaben kürzen, Personal einsparen und keine neuen Produkte mehr auf den Markt bringen, ist Ihr Unternehmen am Ende weniger lebensfähig als zu Beginn der Rezession. Es besteht immer die Gefahr, es mit den Kürzungen in Krisenzeiten zu übertreiben.

Inwiefern hat Ihre Laufbahn Ihnen geholfen, die Wachstumspotenziale von Unternehmen klar zu erkennen?

Als Leiterin von Vertriebs-, Marketing- und Kundenserviceorganisationen erhielt ich einzigartige Einblicke in kundenorientiertes Wachstum, da alle drei Bereiche damit verflochten sind. Dank meiner beruflichen Erfahrung und meiner zehnjährigen Tätigkeit als Wachstumsberaterin konnte ich in Theorie und Praxis beobachten, wie Unternehmen sich um Wachstum bemühen, und dabei ständig Best Practices entwickeln und identifizieren.

Im Verlauf von mehr als zehn Jahren erörterte ich in rund 4500 Gesprächen mit Kunden aus Start-up-Unternehmen ebenso wie aus Fortune-500-Unternehmen, wie sich Wachstum erreichen lässt und relevante Aspekte des Unternehmens verbessert werden können. Interessant dabei ist, dass die Herausforderungen für alle Unternehmen gleich sind, lediglich die Größenordnung unterscheidet sich. Ein Großunternehmen beschließt vielleicht, sein Vertriebspersonal aufzustocken, während ein Start-up herausfinden muss, wann es seinen ersten Vertriebsmitarbeiter einstellt. Ein Fortune-500-Unternehmen und ein Start-up-Unternehmen, die beide neue Märkte erschließen wollen, müssen sich die gleichen Fragen stellen. Die Unterschiede zwischen beiden Unternehmen betreffen den Umfang, die Ressourcen und die Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung. Die Herausforderungen dagegen bleiben weitgehend konstant.

Meine praktische Laufbahn im Vertrieb, meine wissenschaftliche Tätigkeit als Analystin und die letzten acht Jahre als Unternehmensberaterin – das sind zusammen fast 18 Jahre – haben mir einen Blickwinkel eröffnet, der nur sehr wenigen Menschen möglich ist. Ich habe Einblick in viele Unternehmen erhalten und die interne Sichtweise kennengelernt, während ich gleichzeitig aus außenstehender Perspektive Best Practices ermitteln konnte.

In welchem Zusammenhang steht all dies zu Ihrem neuen Buch, The Experience Mindset?

Ich habe mich lange Zeit damit beschäftigt, wie Unternehmen geführt werden, dabei jedoch nicht den Faktor Mensch in den Mittelpunkt gestellt. Ich meine damit nicht die Organisationsstruktur, sondern wirklich die einzelnen Mitarbeitenden. Aber in den letzten acht Jahren habe ich der Rolle, die die Menschen für das Wachstum spielen, sehr viel mehr Zeit gewidmet. Erkenne ich den Sinn meiner Tätigkeit? Bin ich mir meiner Rolle bewusst? Bin ich mit mehr Einsatz und Engagement bei der Sache? Wenn diese Punkte zutreffen, arbeiten diese Mitarbeitenden leistungsorientierter und produktiver. Und wenn Leistung und Produktivität stimmen, erhöht sich auch die Zufriedenheit der Kunden.

Daher habe ich mich viel gezielter darauf konzentriert, den Zusammenhang zwischen Mitarbeiter- und Kundenerlebnis zu verstehen, der besonders dann von Bedeutung ist, wenn ein Kunde sich für eine Marke interessiert, sei es online, offline, menschlich, Bot-gestützt, persönlich oder virtuell. Diese grundlegende Erfahrung sowohl der Kunden als auch der Mitarbeitenden ist ein zentraler Bereich, in dem Sie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht allzu sehr den Rotstift ansetzen dürfen. Andernfalls sind Ihre Mitarbeitenden nicht mehr in der Lage, ihre Arbeit gut zu erledigen. Denn wenn Ihre Mitarbeitenden nicht ordentlich arbeiten können, entgeht Ihren Kunden ein großartiges Erlebnis. Unter internen Kapazitätseinschränkungen leiden vor allem die Kunden.

Wenn Sie also, vor allem in der heutigen Zeit, darüber entscheiden, ob Sie Ihre Ausgaben kürzen oder erhöhen wollen, stellen Sie die Mitarbeitenden und die Kunden in den Mittelpunkt Ihrer Entscheidung. Und darum geht es im Wesentlichen in meinem neuen Buch.

Sind Sie bereit, Ihre Unternehmensmentalität auf eine dynamische, kompetenzbasierte Lernumgebung auszurichten?
Wir zeigen Ihnen, wie dies mit den drei Kernkompetenzbereichen Neugier, Allyship und Growth IQ gelingt.

Tiffani Bova

Tiffani Bova ist Autorin zweier Wall-Street-Journal-Bestseller: Growth IQ und The Experience Mindset. 

Bova zählt seit vier Jahren in Folge zu den 50 wichtigsten Wirtschaftsdenkern der Welt: den Thinkers50. Die beliebte Keynote-Speakerin inspiriert Menschen dazu, strategisch zu denken, mutig zu sein und zu handeln. Sie wurde von ReadWrite zu einem der Top Virtual Keynote Speaker 2020 ernannt und ist häufig Gast bei Medien wie Bloomberg, BNN, Cheddar News, MSNBC und Yahoo! Finance. 

Tiffani Bova schreibt für Publikationen wie Harvard Business Review, Forbes, Entrepreneur, Diginomica, Quora, Rotman Management Magazine und für Dialogue, die Zeitschrift für Führung und Management von Duke Corporate Education.